Wie TikTok heimlich Inhalte pusht

Es hat sich herausgestellt, dass TikToks Algorithmen nicht der einzige Faktor für den Erfolg der App sind. Es gibt auch Mitarbeiter:innen, die Inhalte viral gehen lassen können, ohne dass es jemand bemerkt.
Ein Bericht von Emily Baker-White in Forbes enthüllt, dass die Inhalte der "For You Page" (FYP) nicht nur von Algorithmen ausgewählt werden, sondern auch von Mitarbeitern von TikTok und ByteDance. Diese können die Verbreitung von Inhalten auf Knopfdruck erhöhen. Dies kann von Interesse für die EU und die USA sein, da es sich vorstellen lässt, wie die chinesische Regierung eine manuelle Boosting-Funktion missbrauchen könnte, um ihre Interessen durchzusetzen.
Hintergrund
Die "For You Page" (FYP) von TikTok ist eine der wichtigsten Plattformen im digitalen Bereich. Hier entscheidet sich, welche Inhalte viral werden, wer Follower gewinnt und welche Werbeverträge abgeschlossen werden können. Content Creator tun alles, um ihre Inhalte einer möglichst großen Zielgruppe zugänglich zu machen.
Die allgemeine Annahme war bislang, dass die Zusammensetzung der FYP ausschließlich von Algorithmen bestimmt wird. Sie entscheiden, welche Inhalte empfohlen werden und in welchem Umfang. Im Vergleich zu Facebook und Instagram setzt TikTok dabei weniger auf die Verbindungen zwischen Nutzern, sogenannten Social Graph, sondern auf tausende verhaltensbasierte Signale.
TikTok hat in der Vergangenheit nur allgemeine Kriterien für Viralität veröffentlicht (TikTok-Newsroom), gelegentlich sind auch Details der mathematischen Formeln durchgesickert. Der größte Teil des Codes blieb jedoch trotz Versprechen von Transparenz geheim. Durch die Recherchen von Baker-White wurde ein unerwarteter Einblick in die "Blackbox" ermöglicht, was nicht nur für Nutzer und Konkurrenten von Interesse sein dürfte, sondern auch für die EU und die USA.
Es ist leicht vorstellbar, wie die chinesische Regierung eine manuelle Boosting-Funktion für Inhalte missbrauchen könnte, um ihre Interessen durchzusetzen. Aufgrund solcher Enthüllungen werden die Forderungen nach einem Verbot von TikTok wahrscheinlich nicht verstummen.
Wie die "Heating"-Funktion funktioniert
Baker-White hat in ihren Recherchen mit sechs aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern von TikTok und ByteDance gesprochen und Dokumente und Kommunikation ausgewertet, die genau beschreiben, wie die manuelle Viralitätsförderung eingesetzt wurde. Intern bei TikTok ist die Funktion als "heating" bekannt. Mitarbeiter können damit die Reichweite eines Videos erhöhen, um eine bestimmte Anzahl von Views zu erreichen. In einem der Dokumente heißt es:
"Die Gesamtanzahl der Views von geheizten Videos macht einen großen Teil der täglichen Gesamtanzahl der Views aus, etwa 1-2%, was einen erheblichen Einfluss auf die Gesamtmetriken hat."
TikTok selbst hat die Existenz der Funktion bestätigt. Eine Sprecherin sagte jedoch, dass nur 0,02% der Videos auf der FYP manuell gepusht werden. Dies muss nicht unbedingt im Widerspruch zu den 1-2% täglichen Views aus internen Dokumenten stehen, sondern verdeutlicht nur die Kraft dieser Funktion. Wenn nur eines von 5000 Videos auf der FYP geboostet wurde, aber die Heating-Funktion für einen von 50 Views verantwortlich ist, dann haben die manuellen Eingriffe einen großen Einfluss.
Es ist offensichtlich, dass TikTok die genauen Methoden, die sie verwenden, um Inhalte auf der FYP zu empfehlen, nicht preisgeben möchte. Es ist jedoch wichtig, dass sie transparenter darüber sind, welche Inhalte manuell gepusht werden und warum, um die Integrität der Plattform und das Vertrauen der Nutzer zu wahren.
Skandal, Vertrauensbruch?
Es war bereits bekannt, dass es bei TikTok eine Funktion gibt, die die Verbreitung von Inhalten manuell beeinflussen kann, aufgrund von mehreren Berichten von Chris Stokel-Walker (Twitter), insbesondere im Jahr 2020 (Times) und 2022 (Twitter). Diese Informationen wurden jedoch eher beiläufig in den Artikeln und Tweets erwähnt. Der Bericht von Forbes enthält jedoch deutlich mehr Informationen und präsentiert dies jetzt als eigene Geschichte. Im Allgemeinen halten wir es für legitim, ausgewählte Inhalte manuell zu verbreiten, da auch Algorithmen keine Magie sind. Entwickler entscheiden mit ihrem Code, was viral wird, aber nicht für jeden Einzelfall. Diese Auswahl treffen dann die Maschinen, aber dahinter steckt immer eine Empfehlungslogik, die von Menschen stammt. Laut Forbes hat TikTok die Heating-Funktion eingeführt, um Inhalte zu diversifizieren, da damals Lip-Sync-Clips und Tanz-Videos dominierten. Deshalb durften Angestellte eingreifen. In den Dokumenten heißt es dazu:
"The purpose of this feature is to promote diverse content, push important information, and support creators. If you make good use of it, heating resources will bring a leverage effect, a small amount of heating resources will bring about growth of midrange users, and a more diverse content pool."
Das erste Problem, das genannt wird, ist die Tatsache, dass Heating im Laufe der Jahre immer häufiger eingesetzt wurde, um Influencer und Marken zu gewinnen und Partnerschaften zu schließen. Dies bedeutet, dass Creator und Unternehmen, die keine Partnerschaft mit TikTok haben, unter einem Wettbewerbsnachteil leiden, von dem bislang kaum jemand wusste. Das zweite Problem ist, dass die Funktion laut den Recherchen auch in manchen Fällen missbraucht wurde, beispielsweise indem Angestellte ihre eigenen Inhalte gepusht oder Videos von ihren Partnern hervorgehoben haben. Dies kann zu Millionen zusätzlichen Views für bestimmte Accounts führen.
Das zweite Problem, das genannt wird, ist die Tatsache, dass die Existenz der Funktion von TikTok nicht kommuniziert wurde und Videos nicht gekennzeichnet waren. Dies läuft allen Transparenzinitiativen zuwider und verstärkt den öffentlichen Eindruck, dass man TikTok nicht trauen kann. Im Gegensatz dazu haben andere Plattformen wie Facebook, Instagram, Google und YouTube in der Vergangenheit manuelle Hervorhebung von Inhalten angekündigt und entsprechende Inhalte mit Hinweisen versehen.
Es fehlt bei dem sogenannten Heated-Content jegliche Information darüber, wie und warum das Video auf der FYP landete.
In einer offiziellen Stellungnahme, die kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurde (TikTok-Newsroom), erklärt TikTok in aller Kürze, warum Videos empfohlen werden:
"Our recommendation system is powered by technical models, so we tried to make the technical details more easily understandable by breaking down reasons like:
user interactions, such as content you watch, like or share, comments you post, or searches
accounts you follow or suggested accounts for you
content posted recently in your region
popular content in your region"
Ein Punkt fehlt: "Entscheidungen unserer Angestellten, die möchten, dass du bestimmte Inhalte siehst".